Die Seidenverarbeitung im Spätmittelalter


Seide tiel


Über die Seidenverarbeitung etwas herauszufinden hat sich bisher als schwieriger herausgestellt. Das mag hauptsächlich daran liegen, dass in Nordeuropa Seide nicht in dem Maße verarbeitet wurde, wie zum Beispiel in Spanien oder vor allem auch in Italien. Daher gibt es wenig schriftliches und noch weniger Bilder. Herausragend waren für mich aber auch hier wieder die Weberfresken aus Haus Kunkel. Es ist die mir bisher einzige bekannte bildliche Darstellung der Seidenverarbeitung aus dem Mittelalter im Deutschen Raum. Schriftliche Erwähnungen findet man hauptsächlich für Köln, das im Mittellalter eine größere Seidenproduktion aufbauen konnte und soweit mir bisher bekannt auch die einzige Deutsche Stadt ist, die in größerem Umfang Seidenstoffe exportiert hat. Warum man in Haus Kunkel auch die Seidenverarbeitung hervorgehoben hat, kann ich an dieser Stelle noch nicht sagen. Von den Bildern ausgehend wurde die Seide dort zu Borten und kleinen Beuteln weiterverarbeitet, aber wieweit mit fertigen Seidenprodukten von Konstanz aus gehandelt wurde, weiß ich nicht. Was die Tuchherstellung betrifft, ist Konstanz durch die Leinenproduktion bekannt gewesen.

 
  seide1  


Seidengarnherstellung

Verarbeitung
Abhaspeln der Kokons
Aufspulen
Verzwirnen/Verspinnen
Entbasten
Gefärbtes Seidengarn


Verarbeitung
Wenn man einmal von den Bildern in Haus Kunkel absieht, habe ich bisher die meisten Informationen aus dem Italienischen Seidengewerbe bezogen(1). Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass die Seide, soweit in Handarbeit hergestellt, auch in Deutschland ähnlich verarbeitet wurde. Eine Ausnahme bilden die Seidenzwirnmühlen, die schon im 13. Jahrhundert in Italien entwickelt wurden. Das sogenannte Filatorium(2) verarbeitete automatisch auf hunderten von Spindeln die Rohseide zu verzwirntem Garn und sparte so ein Vielfaches an Arbeitskräften ein. In Deutschland gab es sie anscheinend erst viel später, so scheiterte in Köln noch 1412 die Einführung an dem Widerstand der Zünfte(3).
Da das Deutsche Klima keine Seidenraupenzucht in nennenswertem Umfang zuließ, musste die Seide importiert werden. Hauptsächlich handelte es sich um Rohseide, also von den Kokons abgewickelte Seide, die in meist Ballen verpackt gehandelt wurde, dem sogenannten "Fardel". In Italien wurde die Seide von den Hasplerinnen (hier ist wohl das Abwinden der Rohseide von einer Haspel auf Spulen gemeint), Zwirnern, Kochern, Färbern und Webern im Verlagswesen in Heimarbeit weiterverarbeitet(4). Diese Arbeitsgänge dürften in Deutschland nicht anders gewesen sein.

Haspeln


Abhaspeln der Kokons
Das Abhaspeln der Kokons habe ich bisher nicht auf Abbildungen gefunden. Es gibt nur einige wenige knappe Berichte, aus denen grob der Arbeitsgang hervorgeht. Um den feinen Faden abhaspeln zu können, mussten die Kokons im heißen Wasser solange aufgeweicht werden, bis sich der Seidenleim löste. Zunächst wurden die Kokons mit einer Bürste betupft, um den Faseranfang zu finden. Die hängengebliebenen Fasern der äußeren Kokonhülle wurden aufgenommen und abgewickelt, bis die gleichmäßigen Einzelfasern der Kokons zusammengefasst und aufgehaspelt werden konnten. Von den 2000-3000m Faserlänge manchmal auch mehr, sind ca. um die 1000m gleichmäßig genug um als Haspel- oder Realseide Verwendung zu finden. Bisher habe ich nur gelesen, dass diese Arbeit zu zweit verrichtet wurde. Eine Frau hat die Haspel gedreht, die andere die Kokons im Wasserbecken beobachtet. 5-8 Einzelfasern bildeten den abgehaspelten Faden. Riss eine Faser drehte sich der Kokon nicht mehr mit. Dann wurde eine neue Faser aufgenommen und weitergehaspelt. Die Bedingungen auf einer Veranstaltung sind für diese Arbeit nicht optimal. Dadurch, dass wir draußen gearbeitet haben, konnte ich durch den Wind nicht immer eine gleichmäßige Wassertemperatur halten und der Seidenfaden wehte immer wieder gegen den Topfrand. Trotzdem gelang es uns, die Seide von den Kokons abzuhaspeln. Allerdings haben wir mit zwanzig Kokons gearbeitet und letztendlich von fünfzehn dann die Fasern zu einem Faden zusammenfassen können.

Haspeln1  Haspeln2 Haspeln3


Aufspulen
haspel
Weberfresken Haus Kunkel, Konstanz, um 1320
Ausschnitt Seide aufspulen (Abb.1)

Die Rohseide musste zur Weiterverarbeitung von der Haspel auf Spulen gewickelt werden. Diesen Arbeitsgang findet man vermutlich auch auf einer der Abbildungen in Haus Kunkel wieder. Auch der Text über den Fresken, "Side spul ich ane nid" - Seide spul ich ohne Neid(5), deutet darauf hin. Auch die Tatsache, dass das Mädchen eine Spule in der Hand hält, die einer Handspindel sehr ähnlich ist, lässt mich vermuten, dass hier eher Rohseide verarbeitet und aufgespult wird. Daher haben wir nach diesem Vorbild unsere Seidenhaspel entwickelt. Als Spule diente mir eine meiner Handspindeln. Für die ersten Versuche war ich ganz zufrieden. Ich bin bei meinem Spinnwirtel geblieben, allerdings haben wir dünnere Stäbe gewählt. Ein weiteres Problem war anfangs die Wickeltechnik, oft hatte ich das Problem, dass sich zu viele Schlaufen auf einmal von dem Spindelstab beim Zwirnen abzogen. Aber mit der Zeit habe ich die Technik verbessert und eine gewisse Routine im Spulen entwickelt.  So brauche ich nun für eine Spule mit 30 m gleichmäßig aufgewickelter Seide etwa 6 Minuten.
spule
Eine große Schwierigkeit stellt die Feinheit der Fäden dar, wenn sie einmal reißen. Ich habe den Anfang leider nicht wiederfinden können und musste daher irgendwo neu ansetzen. Das führte dann dazu, dass ich keine Endlosfaser mehr hatte, sondern stückeln musste. So kann ich nach meinen ersten Versuchen sagen, dass es doch einiger Übung bedarf, die Seide vernünftig zu verarbeiten und aufzuspulen.
  haspel6 Haspel

Verzwirnen/Verspinnen

zwirn
          Federzeichnung "Trattato dell' Arte della Lana", Codex Riccardianus, Florenz (Abb. 2)


Leider bin ich hier auf das Problem gestoßen, dass das Bild mit Seide verzwirnen überschrieben ist, aber "Trattato dell' Arte della Lana" (Wolle) erwähnt wird. In dem gleichen Codex gibt es auch die Abhandlung "Trattato dell' Arte della Seta" (Seide), ich kann im Moment nicht sagen, wo der Fehler liegt. Da ich das Verzwirnen von Wolle anders kenne, bin ich hier zunächst einmal davon ausgegangen, dass es sich tatsächlich um Seide handeln könnte.


Die Rohseidenfäden bestanden aus meist 5-8 Einzelfasern. Um eine  bessere Haltbarkeit zu erreichen, wurden mehrere Rohseidenfäden miteinander verzwirnt. Bisher habe ich nur diese eine Italienische Abbildung gefunden. Unser Nachbau ist dem annähernd Nachempfunden. Von mehreren Spulen/Spindelstäben werden die Rohseidenfäden vorsichtig abgezogen und erhalten dabei einen ganz leichten Drall. Zum Aufwickeln habe ich anfangs jedoch keine Spule wie auf der Abbildung zu sehen genommen, sondern einen ganz normalen Spindelstab. Nach längerem Ausprobieren ist es mir dann gelungen, eine Wickeltechnik zu finden, mit der die Rohseide tatsächlich einen leichten Drall erhält. Mit ein bisschen Übung gelingt mir das mittlerweile auch recht zügig und ich kann den Drall durch abspulen und neu aufwickeln noch verstärken. Spannend finde ich, dass diese Arbeit vom Ablauf her  sehr gut zu der Abbildung passt. Auf dem unteren Bild ist das Spulenkästchen zu sehen mit der dazugehörigen Spule.

spule

                                                                 
verzwirnt
Auf dem Foto oben habe ich einmal mehrere Varianten aufgenommen. Es handelt sich jeweils um fünf Rohseidenfäden zu 15 Einzelfasern. Auf der linken Spule sind die Fäden zusammengefasst  zuerst mit einem stärkeren Drall versehen und dann verzwirnt worden, so dass ich einen Faden von doppelter Stärke erhalten habe. Auf der mittleren Spule habe ich die Rohseidenfäden lediglich auf er Handspindel mit einen Drall versehen. Rechts sind sie gar nicht verdreht, sondern einfach nur zusammengefasst aufgewickelt worden. Je mehr die Fäden dabei verdreht werden, umso mehr nimmt der Glanz der Seide ab, da die Oberfläche immer unregelmäßiger wird. Auf den Fotos kann man das leider nur andeutungsweise erkennen. Jedenfalls dürfte das einer der Gründe sein, warum man in mittelalterlichen Seidengeweben vor allem im Schuss so häufig unverzwirntes Garn findet(6). Auch das Stickgarn wurde oft nicht mit einem Drall versehen und fächerte sich dadurch schön über die Oberfläche auf.
Für Italien habe ich wie oben schon erwähnt den Beruf des Seidenzwirners gefunden, der dort übrigens vorwiegend von Männern ausgeübt wurde(7). In Köln gab es die Seidenspinnerinnen, hier kann ich nur vermuten, ob es sich um denselben Arbeitsgang handelt, oder ob die Seidenabfälle, die Kokonreste, bzw. die sogenannte Schappeseide weiterverarbeitet wurde. Bisher habe ich darüber nur sehr wenig gefunden, in Paris und Oberitalien wurden anscheinend diese Reste verarbeitet.

Im unteren Bildteil eine Spule mit verzwirrntem Seidengarn.

Seidenspule


Entbasten
Nach längerem Experimentieren mit verschiedenen Zutaten, die historisch überliefert sind, bin ich so nach und nach auch mit dem Entbasten der Seide zufrieden. Dabei wird der Seidenleim, das sogenannte Sericin von den Fasern entfernt. Sie werden weich und bekommen ihre weiße, extrem glänzende Beschaffenheit. So vorbereitet kann das Garn dann gefärbt werden und ist damit für die Textilarbeit fertig gestellt.

Seide entbastet


Gefärbtes Seidengarn
Grob gerechnet benötige ich im Moment für 50m fertiges Garn ca. vier bis fünf Stunden und halte am Schluss vielleicht zwei Gramm Material in der Hand. Alleine die Garnherstellung ist somit per Hand schon eine recht aufwendige Geschichte, aber das Ergebnis kann sich definitiv sehen lassen, wie meine kleine „Schatzkiste“ zeigt.

gefärbte Seide



Mein kleines Wisby-Seidenprojekt 2019

Während der Veranstaltung habe ich mal ein wenig experimentiert und von den Kokons angefangen Seidengarn hergestellt. Erste Erfahrung, Seide ist irgendwie kein draußen Projekt. Aber immerhin habe ich tatsächlich ein wenig fertig gefärbtes Garn erhalten und bin um einige Erfahrungen reicher.
Wisby1Wisby2Wisby3

Wisby4 Wisby5       

Wisby6
Die verschiedenen Arbeitsschritte:

Auskochen und abhaspeln der Kokons
Spulen der Seidenfaser
Verzwirnen
Einnähen in Leinensäckchen und Entbasten
Reseda auskochen
Färben




Hier also nun mein Wisby-Seidengarn:
Seide2020


Weitere Färbe-Experimente 2020


Nachdem ich anfangs arge Schwierigkeiten hatte, ein schönes Blau zu färben, hat es jetzt endlich mit dem richtigen Rezept funktioniert. Ich habe ein wunderschönes Nachtblau mit meiner Indigo-Färbung erhalten. Damit war dann auch Grün und Violett kein Problem mehr. Ebenfalls sehr schön gelungen ist die Färbung mit Safran.
blau
safran grün


Haspelseide in Regenbogenfarben
bunt



Bildnachweise:
1 SLUB/Deutsche Fotothek, Müller und Sohn, Datensatz: http://www.deutschefotothek.de/obj70700795,T.html
2 Ciba-Rundschau, Die Textilgewerbe im mittelalterlichen Florenz S. 1409, Bildausschnitt


Literaturnachweise:
1 Ciba-Rundschau
   Heft 38, Die Textilgewerbe im mittelalterlichen Florenz
   Heft 42, Venizianische Seiden
   Heft
92, Die Seidenstadt Lucca
2 Almut Bohnsack, Spinnen und Weben
3 Städtisches Leben im Mittelalter, Evemaria Engel, S. 318
4 Ciba-Rundschau, Seidenstadt Lucca, S. 3390
Weibsbilder al Fresco, Werner Wunderlich S. 63
6
Italienische Seidengewebe, Brigitte Tietzel, Deutsches Textilmuseum Krefeld
7 Ciba-Rundschau, Heft 42, Venezianische Seiden
S. 1526

weiterführende Literatur u.a.:
Die textilen Künste, Leonie von Wilkens