Die Leinenherstellung im Spätmittelalter


Flachsblüte

Beschäftigt man sich intensiv mit der Herstellung von Leinen, scheint es auf den ersten Blick sehr einfach, etwas darüber herauszufinden, gibt es doch hunderte von Büchern zu diesem Thema. An die Grenzen stößt man dann allerdings sehr schnell, wenn man zeitlich weiter zurückgeht. Der größte Teil der Literatur über die Leinenherstellung und die dazugehörigen Werkzeuge stammt aus den letzten drei Jahrhunderten, davor wird es schon schwieriger und für das Mittelalter musste ich die Nachweise über die Gerätschaften zur Fasergewinnung mühsam zusammensuchen.
Mittlerweile kann ich aber sämtliche Arbeitsgänge mit den dazugehörigen Werkzeugen, die wir bis ins letzte Jahrhundert kennen, wenigstens bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Darüber ist ein umfangreicher Fachaufsatz unter dem Titel „Die Röteteiche in Spenge-Bardüttingdorf“ entstanden, der im „Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford 2017“ ISBN 978-3-7395-1024-8 mit einer Vielzahl von Abbildungen veröffentlicht wurde. An dieser Stelle noch mein ganz herzlicher Dank an den Herausgeber und die Verlagsmitarbeiter.
Leider ist es mir auf unserer Homepage nur eingeschränkt möglich, alle originalen Abbildungen zu zeigen, da die Bildrechte zum Teil ausschließlich für den Fachartikel galten. Daher habe ich hier in dem kurzen Bericht über die Leinenherstellung einige Repliken abgebildet, die mein Mann gefertigt hat.
Desweiteren ist mittlerweile auch ein Fachaufsatz in englischer Sprache im EXARC-Journal erschienen unter dem Titel "Flax Fibre Extraction Techniques in the Late Middle Ages". Hierüber freue ich mich besonders, da es sich um eine internationales Netzwerk von Fachleuten handelt, die für archäologischen Freilichtmuseen sowie in experimenteller Archäologie und alter Technologie tätig sind.


Zu den am häufigsten verwendeten Geweben im Mittelalter gehörte neben der Wolle das Leinen. Vorwiegend in Natur oder weiß gebleicht, fand es Verwendung für die Untergewandung, Kopfbedeckungen sowie Tisch- und Bettwäsche. Dabei waren die Weber oft spezialisiert, so gab es zum Beispiel Ziechenweber, die Leinen nur für Bettzeug herstellten oder Schleierweber.

Auch als Futterstoff taucht Leinen immer wieder auf, genauso wie es für militärische Kleidung, zum Beispiel Gambesons verwendet wurde. Wesentlich seltener sind Belege für Obergewandung. Ich habe bisher nur wenige Hinweise in der Sekundärliteratur gefunden, denen ich allerdings noch nicht nachgehen konnte. Nach allem, was ich bisher über Leinen gelesen habe, halte ich es aber für wahrscheinlich, dass auch für Obergewandung Leinen durchaus Verwendung fand, wenn auch lange nicht in dem Maße wie Wolle.
Was es zudem sehr schwer macht, Leinen mit Funden zu belegen ist die Tatsache, dass die Pflanzenfaser im Gegensatz zu Wolle in saurem Boden verwittert. Da wir überwiegend saure Böden haben, gibt es leider auch kaum erhaltene Bodenfunde von Leinen.

Da sich unter dem Begriff Leinen Gewebe sowohl aus Flachs, als auch Hanf verbergen kann, macht es die Recherche nicht immer einfach. Öfter bin ich dabei auf Widersprüche gestoßen. Hatte ich anfangs das Augenmerk ausschließlich auf Flachs gerichtet, bin ich nun immer mehr der Überzeugung, dass Hanf viel häufiger verwendet wurde, als bisher allgemein Erwähnung fand. So wurde zum Beispiel in Proben von Siegelschnüren, die aus der Bodenseeregion stammten festgestellt, dass  bis Mitte des 13. Jahrhunderts  dort die Hanffasern überwogen, danach erst die Flachsfaser. Dennoch liegt der Schwerpunkt auch bei mir noch mehr auf der Gewinnung von Fasern aus Flachs.


flachsbeetneu FlachsbeetFlachs samen


Geschichte Verarbeitung Riffeln Rösten/Rotten Darren Boken
Brechen Schwingen Hecheln Ribben Spinnen gefärbtes Leinen

Geschichte
Anhand von Samenfunden geht man davon aus, dass der Flachs bereits vor etwa 10000 Jahren in Mesopotamien, dem Heutigen Irak und der Türkei angebaut wurde. In Europa deuten Funde von Samenkapseln in Pfahlbausiedlungen in der Schweiz auf eine Kultivierung vor knapp 5000 Jahren hin. (1)
Auch der Hanf scheint ursprünglich aus Mesopotamien zu stammen und aus einer zweiten asiatischen Region, aus China. Funde, die auf eine Verarbeitung und Anbau in diesen Regionen hindeuten, wurden auf ein Alter von 12000 Jahren datiert.
Hinweise zur Nutzung der Fasern sind allerdings wesentlich älter. 2007/2008 hat ein Forscherteam in einer Höhle in Georgien bearbeitete Flachsfasern gefunden, die auf ein Alter von 34000 Jahren datiert wurden. Man geht hier von der Nutzung einer Wildform vom Flachs aus. (2)
Im Mittelalter wurde der Flachs vorwiegend in Mitteleuropa angebaut. Dabei zog sich die Anbauregion von England bis ins Baltikum und nach Russland. Deutschland besaß drei Hauptanbauzentren, die Bodenseeregion/Schwaben, Westfalen/Südniedersachsen und Sachsen/Schlesien/Pommern. Durch den Aufstieg der Städte ging die Tuchherstellung aus dem ländlichen Bereich im 12./13. Jahrhundert, in die vorwiegend gewerbliche Produktion über. Dabei blieb die Herstellung des Rohmaterials bis zum gesponnenen Garn weiter hauptsächlich im Ländlichen, während die ländlichen Weber mit städtischen immer mehr in Konkurrenz kamen. Allerdings wäre ohne die ländliche Weberei Leinen als Massenprodukt nicht möglich gewesen. Leinenweber hatten dabei oft nicht den Stand und das Ansehen, wie die Wollweber. So gab es ab dem Spätmittelalter des Öfteren Zunftverbote und Leinenweber gehörten in einigen Orten zum unehrlichen Gewerbe. Dieses Phänomen verbreitete sich dabei eher im Norden. In vielen Städten in Süddeutschland genossen die Leinenweber ein besseres Ansehen.



Verarbeitung
Da die Verarbeitung identisch ist, können die meisten Arbeitsgänge für Flachs und Hanf als  gleich angenommen werden. Dabei verarbeitet sich der Hanf schwerer und die Gerätschaften sollten stabiler ausfallen.
Von der Flachspflanze, aber mehr noch von der Verarbeitung hing ab, wie fein und damit hochwertig die hergestellten Tuche waren.
Der erste Schritt war daher schon der Anbau, eine wichtige Voraussetzung für einen guten Wuchs der Pflanze. Allerdings würde es doch den Rahmen sprengen, darauf genauer einzugehen. Daher möchte ich hier nur die Verarbeitung beschreiben.Raufen

Um die komplette Faserlänge auszunutzen, wurde der Flachs nicht geschnitten, sondern mit den Wurzeln aus der Erde gezogen, das sogenannte Raufen. Dies geschah etwa 100 Tage nach der Aussaat, wenn die Stängel die ersten Blätter verloren, aber die Samenkapseln noch geschlossen waren. Danach wurde er auf dem Feld getrocknet. Über den Flachs habe ich gelesen, dass je jünger die Pflanze geerntet wird (grüner Leinen), desto feiner ist die Faser. Allerdings wird die Verarbeitung auch schwieriger, da sich die Fasern schwerer aus dem Bast lösen und empfindlicher sind.



kapellen  getrocknet
Hier ist der geraufte Flachs in Kapellen aufgestellt. Nach zehn Tagen ist er getrocknet und
hat eine goldbraune Farbe bekommen.

Über den Hanf habe ich bisher leider nur zwei gegensätzliche Berichte gefunden. Einmal die Aussage, dass er geschnitten wird, da der untere Teil samt Wurzeln keine gute Faser mehr gibt, dann dass auch er gerauft wird. Daher werde ich mich mit diesem Thema noch mehr auseinandersetzen müssen. Auch wurde scheinbar ein Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Pflanze gemacht, da diese von der Faser her unterschiedlich reiften und daher in einigen Regionen zu unterschiedlichen Terminen geerntet wurden.(3)



RiffelnRiffelkamm
Das sogenannte Riffeln diente zur Ernte der Leinsamen. Dabei wurde der getrocknete Flachs über Riffelkämme gezogen, um die Samenkapseln abzustreifen. Es gibt Holzfunde von diesen Werkzeugen über ganz Europa verteilt, zum Beispiel aus der Wurt Elisenhof, in Novgorod oder Bergen, die diesem Arbeitsgang zugeordnet werden.
Auf dem Foto ist ein Kamm aus Eisen, der wahrscheinlich aus dem 18. Jahrhundert stammt, den ich zu Demonstrationszwecken nutze. Aus Ungarn ist ein Fundstück aus Eisen aus dem 13. Jahrhundert bekannt. Ein Nachbau eines Holzkammes ist bei uns in Planung.

samenkapselnIn einem Buch aus dem letzten Jahrhundert habe ich noch eine andere Art der Samenernte kennengelernt.(4) In einer Region im Elbe-Weser- Dreieck wurden die Flachsstängel gegen eine niedrige Holzwand (Ausschlagebock) ausgeschlagen.  Wie effektiv diese Methode ist, kann ich nicht sagen. Es bleibt offen, ob diese Anwendung im Mittelalter in einigen Regionen auch vorkam. Da kein Werkzeug nötig ist, vereinfacht es die Sache natürlich.




Die Fotos von der Ernte und dem Riffeln sind in Stade 2014 im Freilichtmuseum auf der Insel entstanden. Vielen Dank dabei an Frau Barbara Drewes, die die Gartenakademie dort geleitet und die schönen Bilder gemacht hat. Leider handelt es sich hier noch um Ölleinen, der kürzer wächst als der Faserleinen. Zum Ausprobieren hatte es mir aber gereicht.

riffeln












Hier ist meine erste Ernte Faserlein getrocknet und geriffelt zu sehen.
 




Rösten/Rotten
Die ringförmig um den Pflanzenkern angelegten Faserbündel wurden durch das Rösten/Rotten vom Stängel gelöst. Dabei zersetzten Bakterien (Wasserröste) oder Pilze (Tauröste) den Pflanzenleim, der die Fasern umgibt. Bei der Wasserröste wurde die Pflanze komplett in Wasser eingetaucht, in die sogenannten Rottgruben gelegt, während bei der Tauröste der Flachs auf Wiesen oder abgeernteten Feldern ausgebreitet und durch Tau und Regen feucht gehalten wurde.(6) Dabei dauerte die Tauröste länger, war wetterabhängiger und lieferte oft auch ein ungleichmäßiges Ergebnis. Trotzdem bin ich auch hier auf Widersprüchliches gestoßen, welches Verfahren die bessere Faser lieferte. Herrschten bei beiden Verfahren jeweils die optimalsten Bedingungen vor, gab es anscheinend keine großen Qualitätsunterschiede.


wasserröste    tauröste











Der Flachs in der Weiterverarbeitung. Mit einem kleinen Teil habe ich den Versuch der Wasserröste in einer kleinen Wanne gemacht. Den größeren Anteil des Flachses habe ich zur Tauröste auf dem Rasen ausgebreitet.



Wassergeröstettaugeröstet
Hier das fertige Ergebnis meiner ersten Wasser- und der Tauröste 2014. Ich war doch sehr angetan, dass auch ohne Vorkenntnissse verwertbares Material zustande kam. Natürlich habe ich aber noch nicht die volle Ausbeute erreicht, die eine gute Röste gebracht hätte. So war ich sehr unsicher, wann beide Röstverfahren zu beenden waren und habe hier sicherlich nicht den optimalen Zeitpunkt erwischt. Auch lag die Tauröste im Oktober/November aus, was vom Wetter her wahrscheinlich schon zu kalt war.


grüner flachs
Wahrscheinlich mehr Glück als Erfahrung hat mir 2016 eine sehr schöne Ernte gebracht. Den Flachs hatte ich relativ früh geerntet. Tatsächlich ließ er sich nach der Wasserröste schwerer aus dem Bast lösen, vor allen an den Spitzen. Dafür wurde ich mit einer feinen, hell glänzenden Faser belohnt.

2020 hatte ich eine sehr gute Ernte mit hochgewachsenem Flachs und wollte ihn daher komplett auf der Museumsinsel verarbeiten. Dabei habe ich auch die Gelegenheit genutzt, einmal eine Wasserröste in fließendem Gewässer zu machen und einen kleinen der Ernte in ein Netz eingebunden, beschwert mit einem Stein elf Tage im Burggraben liegen gelassen. Der Flachs war anschließend voller Modder, aber nach dem Ausspülen wieder hell und die Fasern hatten sich gut gelöst.
Wasserröste1wasserröste2Wasserröste3


Die  weitere Verarbeitung des Flachsstrohs fiel in den Spätherbst und Winter. Ein Lied aus dem 13. Jahrhundert von Neidhardt, das ich gefunden habe, trägt den Titel „Winterlied 8“. Ebenso sind die Bilder über die Flachsverarbeitung von Albrecht Glockendon aus den Jahren 1526 und 1535 und Abbildungen des flämischen Malers Simon Bening um 1515 den Kalenderblättern November zugeordnet.



DarrenDarren
Nach dem Rösten/Rotten musste der Flachs erneut getrocknet werden. Dies geschah, indem man ihn wieder auf den Feldern bündelweise zusammenstellte. Es wurde anscheinend auch die Möglichkeit genutzt, den Flachs in Backöfen zu trocknen. Aus der Neuzeit gibt es mehrere Berichte, dass Stadtbrände dadurch ausgelöst wurden. In wie weit dieses Verfahren im Mittelalter bereits Verwendung fand, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Es gibt Berichte für über spezielle Darröfen und -gruben, deren Tradition bis in das frühe Mittelalter zurückreichen soll (6 u.7), in denen die Flachsstängel durch dörren über dem Feuer härter gemacht wurden, damit sich die Holzteile noch besser lösten.
Der Flachs lässt sich tatsächlich viel leichter von dem Bast entfernen. Die Beschreibung, dass die äußere Hülle nach dem Darren wie Glas zerspringt, kann ich bestätigen. Wichtig ist hierbei noch, dass der Flachs dann auch gleich nach dem Trocknen gebrochen wird, da sich die Wirkung sonst wieder aufhebt.



Boken
Bis in 20. Jahrhundert ist dieser Arbeitsgang immer wieder anzutreffen, allerdings nicht überall.  Aus dem letzten Jahrhundert habe ich zwei Fotos gefunden, auf dem ein Mann vor einem Holzklotz steht und mit einem Holzknüppel (in Nordrhein-Westfalen Bülter genannt) den Flachs bearbeitet.(8) BokenMein Holzknüppel ähnelt diesem und einem Fund aus Bergen (Bryggen), der ebenfalls diesem Arbeitsgang zugeordnet und auf das Spätmittelalter datiert wurde. In einem Text  von Gottfried von Neifen taucht der Satz „si kann beidiu dehsen unde swingen“, Lied II, 5 1-3 auf.(9) Hierbei frage ich mich, ob das Wort „deshen“ auch  für dreschen/brechen stehen könnte und damit diesen Arbeitsgang beschreibt. Da die Entstehungszeit und Verbreitung der Flachsbreche, wie wir sie heute kennen nicht ganz sicher scheint, besteht für mich durchaus die Möglichkeit, dass die Stängel nur durch das Klopfen gebrochen wurden. Ich habe das selber einmal ausprobiert und es funktioniert tatsächlich. Allerdings muss man hier einschränken, dass die Stiele hauptsächlich längs aufgespalten werden und die Arbeit so wesentlich länger dauert. Auch ist nicht auszuschließen, dass dadurch die Faser leidet.
In der Neuzeit wurde das Boken meist als Vorarbeit zum Brechen angewendet.




Brechen
Die Flachsbreche scheint terminlich etwas schwieriger einzuordnen zu sein. In einer Dissertation (10) und mehreren späteren Berichten fand ich die Aussagen, dass „die Flachsbreche nicht vor 1300 in Holland entwickelt wurde“. Leider haben die Autoren keine näheren Angaben gemacht und keinerlei Hinweise zur Herkunft dieser Aussage gegeben. Daher kann ich auch nicht sagen, wie zuverlässig diese ist. Die frühesten Abbildungen, die ich von solchen Brechen kenne, stammen von Mitte des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts.
Allerdings gibt es noch Funde von Holzfragmenten, die den oberen Teil der Flachsbreche darstellen könnten und viel früher einzuordnen sind. Fragmente eines Fundes aus der Siedlung Feddersen Wierde/ Norddeutschland liegen zeitlich vor 1000 (11) und in dem Archäologischen Landesmuseum Brandenburg ist ein Exponat ausgestellt, das der Slawenzeit zwischen 600 und 1200 zugeschrieben wird. Ein weiteres Fragment wurde in Neu Pansow gefunden und dürfte aus dem unteren Teil einer Breche stammen. Erstaunlich, dass dieses mittels der Radiokarbondatierung schon auf 400 n.Chr. zu datieren war.(12) Diese drei Fundstücke scheinen zu belegen, dass die Flachsbreche weit vor dem 13.Jahrhundert genutzt wurde.
Breche
breche3

   Feiertagschristus Pfarrkirche Saak, Österreich 1465              Albrecht Glockendon, Nürnberg 1526 (Abb.1)
 
Ausschnitt (Abb.2)

meine Breche
Wir haben uns entschieden, unsere Flachsbreche nach den Abbildungen zu bauen.


Der Flachs wurde gebrochen, um die äußere holzige Schicht zu zerstören und einen Großteil, die Schäben, davon auszuschlagen.






Im Haus Kunkel sind die sogenannten Weberfresken erhalten geblieben, welche die Hanf/Flachs- und Seidenverarbeitung zu Beginn des 14. Jahrhunderts zeigen. Auf der ersten Abbildung ist zu sehen, wie Hanf mit der Hand gebrochen wird. 
Ich habe dies einmal mit Flachs ausprobiert. Auch das funktioniert, ist aber wenig effektiv und sehr langwierig.
Interessant war, dass ich in einem anderen Buch eine Beschreibung darüber fand, wie noch im späten 19. Jahrhundert in Norditalien der Hanf mit der Hand aufgeschleißt und der Bast von jedem Stängel einzeln abgelöst  wurde (13), was dann tatsächlich zu der Abbildung im Haus Kunkel passen könnte. Ansonsten war mir bisher auch beim Hanf nur bekannt gewesen, dass er gebrochen wurde, genauso wie der Flachs.

Video vom Brechen.
(Vielen Dank an Maria Neijman)


entbasten

Weberfresken Haus Kunkel, Konstanz, um 1320, Entbasten und Schwingen (Abb.3)

















Schwingen
Das Flachsschwingen wurde wie schon erwähnt bereits im 13. Jahrhundert besungen. Auch auf den Fresken von Haus Kunkel ist eine Frau wahrscheinlich beim Flachsschwingen zu sehen. In der Überschrift steht das Wort "Thesens", dass hier anscheinend mit dem Schwingen in Verbindung gebracht wird.(14)
Allerdings war mein Versuch, die Fasern über den Oberschenkel zu legen und dann zu schwingen nicht sehr ergiebig. Von daher kann ich mir noch nicht ganz vorstellen, wie das so funktioniert haben soll oder ob mir nur die Übung fehlt. Auf den Bildern von Glockendon kann man ebenfalls eine Flachsschwingerin sehen. Jedoch ist dort und auch auf einem Holzschnitt um 1580 nur eine Art Tisch oder Klotz abgebildet, auf der die Schwingerin den Flachs legt. Bei einem Besuch des Heideklosters Wienhausen habe ich auf zwei dort ausgestellten Wandteppichen, datiert auf Ende des 14./Anfang des 15. Jahrhunderts und der zweite um 1480, ebenfalls Abbildungen vom Schwingen gefunden. Hier zeigt sich der Schwingstock schon so, wie wir ihn bis in das letzte Jahrhundert fast unverändert kennen, ebenso wie bei den flämischen Zeichnungen, die allerdings erst um 1515 entstanden sind. Unsere Konstruktion wurde in Anlehnung an die Abbildungen auf den Wandteppichen nachgebaut.
Etwas, das ich persönlich noch interessant finde ist die Tatsache, dass auf den ausgestellten Teppichen in Wienhausen neben den biblischen Darstellungen die Flachsbearbeitung zu finden ist. Ein direkter Bezug zu den anderen Bildmotiven besteht anscheinend nicht und ich frage mich, welche Bedeutung die Leinenverarbeitung dort besaß, wenn gerade diese hervorgehoben wurde.
schwingen

schwingeBelegt ist ebenfalls unser Schwingschwert. Das Original haben wir bei der Ausstellung „Aufbruch in die Gotik“ in Magdeburg gesehen, es war eine Leihgabe des Braunschweiger Museums und wurde auf um 1250 datiert. Wir haben das Schwert nach den angegebenen Maßen im Ausstellungskatalog ebenfalls aus Rotbuche nachgebaut.

Bei dem Schwingen werden die restlichen Schäben entfernt und die Fasern aufgelockert.


Video vom Schwingen. (Vielen Dank an Maria Neijman)


Ribben

Ein weiterer Arbeitsgang, der sich wenigstens vom Mittelalter ins letzte Jahrhundert erhalten hat, jedoch nicht überall praktiziert wurde, ist das Ribben.
Während vor gut hundert Jahren dazu als Hilfsmittel ein sogenanntes Ribbeisen verwendet wurde, scheint auf der Abbildung von Haus Kunkel diese Arbeit des Glattstreichens nur mit der Hand gemacht worden zu sein, was so allerdings schwer nachzuvollziehen ist und ich mir auch noch nicht ganz vorstellen kann.ribben

Weberfresken Haus Kunkel, Konstanz, um 1320
Ausschnitt Ribben (Abb.6)













 riben  
Hier benutze ich ein Ribbeisen.
Das Original habe ich an einer Statue an der Kathedrale von Chartres entdeckt, die auf 1250 datiert ist. Erstaunt bin ich auch hier, wie lange dieses Werkzeug anscheinend unverändert in Gebrauch war.

Durch das Ribben wurden die Fasern nicht nur geglättet, sondern man erhielt dadurch sehr feine und seidige Fasern (15). In einigen Regionen hat man gleich nach dem Brechen geribbt und das Schwingen weggelassen. Ich habe es ausprobiert. Allerdings ist es etwas mühsamer und die Schäben schwerer zu entfernen.



Video vom Ribben. (Vielen Dank an Maria Neijman)




Hecheln

Auch hier fand ich unter den Fresken von Haus Kunkel wieder eine Abbildung zu einer weiteren Verarbeitung des Hanfes/Flachses. Wenn ich das Bild mit meiner Bauernhechel auf dem rechten Foto vergleiche, die vermutlich Ende des  19. Jahrhunderts entstand, ist die Ähnlichkeit doch schon verblüffend. Es zeugt meiner Meinung nach ebenfalls davon, wie wenig sich ein großer Teil der bäuerlichen Gerätschaften bis zum Industriezeitalter verändert haben. Zudem gibt es noch als weiteren Beleg den relativ gut erhaltenen Fund einer Hechel auf der Burg Bommersheim/Hochtaunus, der zeitlich vor 1382 einzuordnen ist. 
hecheln 1hecheln








Weberfresken Haus Kunkel, Konstanz, um 1320
Ausschnitt Hechel (Abb.4)




Video vom Hecheln. (Vielen Dank an Maria Neijman)


Eine Buchillustration aus Frankreich, erste Hälfte 15. Jahrhunderts entstanden, deutet auch auf diesen Arbeitsgang hin.


hecheln
Giovanni Boccaccio, De claris mulieribus
Frankreich etwa 1440, Ausschnitt (Abb.5)










Auf dem Bild wird neben dem Weben das Spinnen und Kadieren von Wolle gezeigt. Die dritte Frau auf der Abbildung scheint allerdings Flachs zu verarbeiten. Sie sitzt vor einem runden Holzstamm, auf dem mehrere Reihen langer Zinken stehen und ist gerade dabei, lange Fasern darüber zuziehen. Ich gehe hier eher von einer Flachshechel aus, da die Wollkämme sonst immer als Paar und nur ein- bis zweireihig gezeigt werden.

hecheln
Unsere Hechel ist sehr einfach gehalten. Sinnvoll erscheint mir, später noch eine feinere dazu zu nehmen. Die erste grobe, um die letzten Holzteile und kurzen Fasern zu entfernen und die feine, um den Flachs zu glätten und auszukämmen.








fertiger flachsflachszopf Meine erste selbstgewonnene Faser 2015 von der Aussaat angefangen. Eigentlich sollte ein Faseranteil von etwa zehn Prozent vom Flachsstroh herauskommen. Bei mir war es wohl maximal die Hälfte gewesen. Dennoch war ich sehr zufrieden mit dem ersten Ergebnis.











Spinnen
rocken
Abbildungen über Spinnrocken habe ich öfter gefunden. Dabei gibt es einmal die Möglichkeit, dass die Spinnerin den Rocken unter den Arm geklemmt hat. Ich habe diese Technik bisher nur mit Wolle ausprobiert und stelle es mir bei den langen Flachsfasern schwieriger vor. Dann gibt es auch immer wieder Bilder von Rocken, die einen Standfuß haben. Unser Rocken entstand nach Abbildungen zum Beispiel von 1402 aus Giovanni Boccaccio, Des claires et nobles femmes und um 1500 aus einem Stundenbuch aus Holland.

rocken1rocken2
Weberfresken Haus Kunkel, Konstanz, um 1320 Spinnrocken (Abb.7)





Stundenbuch Holland um 1500 (Abb.8)






Gefärbtes Leinen:
Eine weitverbreitete Meinung, auf die ich immer wieder gestoßen bin, dass Leinen nicht, bzw. nur sehr schwer färbbar ist und es daher kaum farbiges Leinen gegeben hat. Das lässt sich allerdings mit zahlreichen schriftlichen Belegen, sowie erhaltenen Textilien widerlegen. Gerade blau gefärbtes Leinen taucht immer wieder auf, zum Beispiel als Futterstoff für klerikale Gewänder oder erwähnt in alten Abrechnungen aus Konstanz und Köln. So ist Köln für den Export des Kogelers bekannt gewesen, eines blauen Leines. In den Abrechnungen von Konstanz taucht ebenfalls oft blau gefärbtes Leinen auf, das in Köperbindungen hergestellt und zu Bett- und Tischwäsche weiterverarbeitet wurde.
Auch andere Färbungen waren möglich gewesen, zumindest bin ich über schriftliche Erwähnungen von gelb, grün und rot gestoßen, zum Beispiel in den Farbkundebüchern von H. Schweppe und E. Ploss(16). Zudem gibt es erhaltene Textilien in rosa und braun. Die Blaufärbung überwog aber bei weitem, genauso wie die Schwarzfärbung in der Bodenseeregion im Spätmittelalter. Dabei wurde der Stoff zunächst blau und dann mit Eichengalläpfeln schwarz übergefärbt. Die Häufigkeit der Blaufärbung lag wohl nicht zuletzt daran, dass der blaue Farbstoff Indigo ein sogenannter Küpenfarbstoff ist, der vereinfacht gesagt als Farbe nicht in die Faser eindringt, sondern aufliegt und damit das Leinen leichter zu färben macht, als ein Farbstoff, der über die Färberflotte in die Faser eindringt.
Eine Aussage von H. Schweppe sei hier noch erwähnt, die sich mit meinen Recherchen weitestgehend deckt. Er erwähnt, dass die Leinenfärberei im Mittelalter in den Kinderschuhen steckte(17). Tatsächlich habe ich bisher die meisten Belege erst ab dem Spätmittelalter gefunden. Blau- und Schwarzfärbung scheinen da allerdings schon weit ausgereift zu sein, braun vor allem bei Stickgarn taucht auch häufiger auf. Dagegen sind rote und gelbe Färbungen eher vereinzelt erwähnt und über grün habe ich bisher nur zwei Mal etwas gefunden. Erst ab dem 16. Jahrhundert gibt es scheinbar mehr Hinweise auf buntes Leinen.




Abschließend:

Dies hier ist zunächst nur ein grober Abriss über die Leinenherstellung im Spätmittelalter. Ich habe noch  Abbildungen von Gerätschaften, die ich bisher nicht weiter verfolgt habe. Was für mich die Recherche erschwert ist die Tatsache, dass ich bei einigen Beschreibungen von Funden nicht immer sicher bin, ob sie wirklich den angegebenen Tätigkeiten zugeordnet werden können. So stolpere ich immer wieder über Kämme mit sehr großen Zinken, die als Hecheln eingeordnet wurden. Die feinen Flachsfasern durch diese groben Kämme zu ziehen ist allerdings wenig effektiv, gerade wenn es darum geht, möglichst feine Fasern zu bekommen.

Einiges an den vorindustriellen Werkzeugen hat sich bis in das Mittelalter zurückverfolgen lassen und gerade die Bilder mit den dazugehörigen Beschreibungen aus dem Haus Kunkel haben mir bei meiner Recherche sehr geholfen. Alles in allem hat sich die Verarbeitung von Flachsfasern über die Jahrhunderte kaum wesentlich verändert.
Die Entwicklung des Spinnrades und des Webstuhls wurden hier nicht weiter berücksichtigt, da mein Schwerpunkt auf der Gewinnung der Fasern liegt.


Bei mir sind nun noch einige neue Geräte in Planung, um der Leinenherstellung im Spätmittelalter möglichst nahe zu kommen und weiter auszuprobieren, was mit den mir bisher bekannten Verarbeitungsweisen möglich war.


Bildnachweise:
1 Zeitglöcklein, Verlag Bibliographisches Institut Leipzig
2 Pfarrkirche Saak, Österreich, Foto:
Johann Jaritz
3, 4, 6 und 7 SLUB / Deutsche Fotothek, Müller und Sohn, Datensatz: http://www.deutschefotothek.de/obj70700795,T.html
5 British Library, Royal 16 G V f. 56 Gaia Caecilia
8 British Library, King's 9 ff. 4v-5 March

Literaturnachweise:
1 Flachs, Züchtung-Anbau-Verarbeitung, Dambroth/Seehuber
2 www.scinexx.de, Nähen mit Flachs schon vor 34.000 Jahren
3 u. 13 Terminologie der Hanf- und Flachskultur in den frankoprovenzialischen Mundarten, Dr. Walter Gerig
4 Aus Flachs wird Leinen, H. Hagen/H. Tödter S. 25/26
5 Flachs, Züchtung-Anbau-Verarbeitung, Dambroth/Seehuber
6 Vom Flachs zum Leinen, Franz Carl Lipp S. 9
7 Experimentelle Archäologie: Bilanz 2001 
8 u. 15 Von Flachs zu Leinen in alter Zeit, Marianne Fasse S. 29 u. 37
9 Waz hilfet ane sinne kunst?, Tomas Cramer S.127
10 Der mittelalterliche Leinwandhandel in Norddeutschland, Hermann Hohls
11 Die Grabung Feddersen Wierde, Werner Haarnagel
12 Kein Flachs - Eine Flachsbreche und andere seltene Holzfunde aus Neu Pansow, Martin Seegschneider
14 Weibsbilder al Fresco, W. Wunderlich S. 53/54
16 Ein Buch von alten Farben, E. Ploss
17
Handbuch der Naturfarbstoffe, H. Schweppe S.86

weiterführende Literatur u.a.:
Vom Flachs zum Leinengarn, Brigitte Dörte Becker
Die Faserpflanze Flachs/Lein, Helga Heubach
Randgruppen der spätmittelalterlichen Gesellschaft, Bernd-Ulrich Hergemüller
Die Zunft im Mittelalter, Sabine Heusinger
Lexikon des Mittelalters
Lied im deutschen Mittelalter, Verlag Institute of German Studies
Anfänge der Leinenindustrie des Bodenseegebietes, Hektor Ammann
Leinenerzeugung und Leinenabsatz im östlichen Mitteldeutschland zur Zeit der Zunftkaufe, Gustav Aubin ; Arno Kunze
Leinwandgewerbe und Fernhandel der Stadt St. Gallen von den Anfängen bis 1520, Hans Conrad Peyer
Deutschland und die Tuchindustrie Nordwesteuropas im Mittelalter,  Hektor Ammann
Das Konstanzer Leinengewerbe. I. Geschichte und Organisation und II. Quellen,   Friedrich Wielandt
Gründung, Kapazität und Eigentumsverhältnisse der Chemnitzer Bleiche (1357 - 1471), Gerhard Heitz
Spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Leinengewebe aus Ausgrabungen und Kirchenschätzen, Tidow/Jordan-Fahrbach
Fashion in the Age of the Black Prince: A Study of the Years 1340-1365, Stella Mary Newton

weitere Abbildungen zur Leinenherstellung u.a.:
Katalog der Ausstellung „Aufbruch in die Gotik“
La miniatura gotica, Emma Pirani
Spinnen und Weben, Almut Bohnsack
Weibsbilder al Fresco, W. Wunderlich
Kalenderminiaturen der Stundenbücher, W. Hansen